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Die Tasse ist nicht kaputt, nur anders...

Ein  blick  auf  unsere  Fehlerkultur

Der porzellane Deckel der Kaffeekanne aus Meissner Porzellan von meiner Großmutter war geklebt. Irgendwann war er mal mit großem Gepolter beim Ausschenken von der Kanne gefallen und auf dem Boden in mehrere Teile zerbrochen. Und weil der Deckel nicht nachkaufbar war, wurde er geklebt. Eine ganz kleine abgesplitterte Stelle war etwas auffällig, ansonsten waren auf den ersten Blick der Bruch und die Reparaturstellen kaum zu sehen. Und wenn dann doch jemand bemerkte, dass man den Deckel gut festhalten müsse beim Ausschütten, schließlich sei er ja schon mal kaputt gewesen, dann kommentierte die alte Dame den Unfall, den Ärger darüber und die „Schande“, dass beim guten Geschirr nicht mehr alles makellos ist mit vielen entschuldigenden Worten und einem entsprechend betrübten Gesichtsausdruck. Makel, Schande, … schwere Worte für – tut mir leid Omi – so eine Lappalie. Und es war ja auch wieder alles gut: repariert und fertig! Zeigt uns dieses Alltagsbeispiel aber nicht grundsätzlich unsere Einstellung zu Fehlern, zu Dingen die nicht perfekt sind (wer auch immer dieses Perfekt definiert), zu Makeln (gerade bei uns Frauen, wenn da mal ein Pickel irgendwo ist). Schon in der Schule werden wir auf „Schönschrift“ und Fehlerlosigkeit getrimmt. Viele möchten besser sein als andere es sind. Fehler werden vertuscht, weil man a) nicht dazu stehen möchte und b) die Sanktionen auch fürchtet. Was eine solche Fehlerkultur tatsächlich erst für Schäden hervor ruft, dass muss man hier gar nicht besprechen. Frauen, Männer, ja schon Kinder, haben ein völlig verkümmertes Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen und keine Selbstachtung, weil sie sich einreden lassen oder sich selbst einreden, dass sie nichts können, sie zu dick, zu dünn, zu hässlich, zu langsam – halt irgendwie nicht „perfekt“ sind. Menschen mit einem inneren Antreiber „immer perfekt“ sein zu wollen gehen an dieser Einstellung zugrunde oder haben damit wenigstens sehr zu kämpfen. Letztens habe ich sogar auf einer Seite eines Mental-Coaches gelesen, dass er dazu verhilft, „perfekte Leistung“ abzurufen. Hallo? Geht´s noch?

 

Wir benötigen eine andere Fehlerkultur. Wir benötigen eine andere Achtsamkeit mit uns selbst und mit anderen. Immer das Gleiche kann noch so „perfekt“ sein, bringt uns aber nicht weiter. Aber der Drang nach Perfektionismus und die Angst Fehler zu machen, bremst uns, bremst Kreativität, bremst Innovation. Menschen machen sich selbst klein und haben kein Selbstwertgefühl, was wiederum verhindert, dass man auch andere wertschätzend behandelt. Wo fängt man da an? Am besten bei sich selbst und in seinem Einflussbereich. Dann zieht es weitere Kreise und kann sich multiplizieren. Ein kleines Vorbild kann hier die Philosophie der japanischen Kintsugi Methode sein. Bei den Japanern lautet das Motto „Eine zerbrochene Tasse ist nicht kaputt, nur anders …“. Mit einer speziellen Goldlegierung, dem sogenannten Urushi Lack, wird wieder zusammen geklebt und unter Umständen auch die Risse mit Gold gefüllt. Das Ansinnen ist gar nicht, die Tasse wieder in den Originalzustand zurück zu führen, sondern sichtbare Spuren der Reparatur zu hinterlassen – eine Kunst, die den Makel hervorhebt. Es geht nicht um den Glanz des Neuen oder Unverbrauchten, Perfekten, sondern um die Bewunderung der Schönheit des Imperfekten. Bekomme einen anderen Blick auf Deine Fehler, Deine vermeintlichen Makel. Denn Fehler sind auch Helfer für Verbesserungen. Lebe diese Fehlerkultur für Dich selbst und für andere. Whabi-Sabi!

 

Thanks to Micol Sandrelli / Kintsugi https://www.facebook.com/Kintsugi-751690251594551/ for the photo.

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